Niedlicher Bulli oder böser Blitzer?

Hannover – Es geschieht buchstäblich blitzartig: Noch bevor man weiß, wie einem geschieht, hat die Radarfalle zugeschlagen – schon wieder zu schnell gefahren. Der Ärger über Starenkästen dürfte bei den meisten groß sein, erst recht über mobile Blitzer.

Im Kampf gegen die steigende Zahl der Verkehrstoten in der noch jungen Bundesrepublik entwickelt, wird 1957 erstmals ein Radargerät getestet, das Autofahrer im Geschwindigkeitsrausch überführen soll – seit dem 15. Februar 1959 blitzt die Polizei mobil. Und immer wieder bekommen vor allem fest installierte Geräte die Wut der Temposünder zu spüren: sie werden abgesägt, beschossen oder mit Farbe besprüht.

Unwahrscheinlich, dass dies dem alten, staubbedeckten VW Bulli von 1953 jemals droht. Dabei dürfte der rundliche T1 einst der Schrecken der Autofahrer gewesen sein: nach ersten Jahren im Polizeidienst in Hannover ist er zwischen 1961 und 1964 der erste Radarblitzer, mit dem Polizisten in Niedersachsen auf ihre Einsätze mit der damals neuen Technik vorbereitet werden. Dann verschwindet er für 54 Jahre in Scheunen und Garagen, wird schließlich der VW-Sparte der leichten Nutzfahrzeuge angeboten und geht in die Oldtimersammlung des Autobauers über. Kaufpreis: kein Kommentar.

Neue Farbe

Unter dem Staub ist das 25-PS-Geschoss mit einer Laufleistung von nur gut 65.000 Kilometern taubenblau, zeigt aber noch Spuren einer polizeitypischen dunkelgrünen Lackierung. Warum die neue Farbe – als Tarnung? «Das kann man mutmaßen», sagt Tobias Twele, Projektleiter von Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer, vorsichtig. Es ist nicht das einzige Versteckspiel, denn im Heck des Bullis steckt ein Blitzgerät für die Kamera – mit einer Verschlussklappe in Wagenfarbe getarnt. Bringen sich die Polizisten mit ihrem Bulli in Position – immer akkurat und parallel zur Fahrbahn -, müssen sich die verblüfften Autofahrer gefragt habe: was bei allen Göttern treiben die da?

Obwohl: «Die meisten haben uns gar nicht wahrgenommen», erinnert sich der 89 Jahre alte damalige Polizeihauptwachtmeister und spätere Hauptkommissar Heinz Scholze. Mutterseelenallein sitzt er damals im Bulli, misst die Geschwindigkeit und führt Protokoll – zwei bis zweieinhalb Stunden dauern die Einsätze. Zuvor aber muss er zum Radarlehrgang. 1961 war das, und der zweite derartige Lehrgang überhaupt in Niedersachsen: «Wir wurden 14 Tage eingehend geschult und dann auf die Menschheit losgelassen – sehr zum Nachteil der Verkehrsteilnehmer.»

Verrückteste Ausreden

Das sollen diese bald erfahren – denn einmal geblitzt gibt es kein Pardon. Dafür hört Scholze die «verrücktesten Ausreden» der ertappten Raser. Ein Klassiker: der Autofahrer, dessen Frau ein Kind erwartet und ganz schnell ins Krankenhaus muss.

Nur zwei Techniker dürfen die Anlagen damals warten, einer von ihnen ist Polizeihauptmeister Dieter Dell (79). Er schwärmt von der einst modernen Technik, die genauestens geprüft wurde – etwa mit einer Stimmgabel. Passte die Frequenz, dann passte auch die Messung. Für den Einbau seien die Dienststellen selber verantwortlich gewesen. Frank Märtens von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig erklärt, die VGR2-Radaranlage von Telefunken, eine Leihgabe des Instituts, sei mit 60 Jahren «immer noch topfit». Sie messe heute sogar genauer. «Es ist wie mit einem alten Wein, sie ist besser geworden», sagt er. Ob die Anlage – der Vorläufer wurde 1957 getestet, dies gilt als erste Radarkontrolle – Teil der Sammlung von VW bleiben könne, darüber werde noch verhandelt, sagt Twele.

Kein Verständnis für Raser

Der alte Bulli jedenfalls soll seine Patina behalten. Er tue sich schwer damit, den Lack eines Autos zu erneuern, der 54 Jahre lang nicht angefasst worden sei, erklärt der VW-Experte. Erstaunlich: der Wagen läuft – nur eine neue Batterie, einen Ölwechsel und Zündkerzen hat er bekommen. Die Elektrik der Heckleuchten muss noch gemacht werden. Dann soll der Oldtimer sogar wieder eine Zulassung bekommen. Die frühere Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern solle man aber besser nicht ausreizen, warnt er.

Überhaupt: Geschwindigkeit. Der 89-jährige Scholze, der 40 Jahre bei der Polizei war, zuletzt als Hauptkommissar, hat für Raserei auf deutschen Autobahnen kein Verständnis – und für den aktuellen Streit über ein Tempolimit auch nicht. «Unbeschränktes schnelles Fahren muss nicht unbedingt sein», meint er. Doch einmal vor vielen Jahren ist er selbst in eine Radarfalle gerasselt, bei erlaubtem Tempo 50 – «bei mir waren’s 83 Stundenkilometer. Seitdem schaue ich immer tunlichst auf den Tacho.»

Fotocredits: Holger Hollemann,Heinz Scholze,Paul Zinken
(dpa)

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